Ende Oktober 2008: Emil Kučera ist frei!
Während ich am letzten Oktoberwochenende, nichts ahnend, in Deutschland weitere fast 80 Unterschriften sammeln konnte – auch an dieser Stelle herzlichen Dank an alle, die unterschrieben haben! – hat Emil Kucera gehandelt: Seinen e-mails vom 26. und 27. Oktober 2008 zufolge ist er nach Tschechien geflüchtet. Dieser Schritt ist nicht nur verständlich, es war an der Zeit. Im folgenden fasse ich die mir dazu vorliegenden Informationen zusammen.
Im Gerichtsverfahren war keine Gerechtigkeit zu erwarten. Unter anderem wurde Kučera vorgeworfen, Dr. Švácha angestiftet und ihm bei Gesetzesverletzungen geholfen zu haben. Warum Emil Kučera für die angebliche "Anstiftung" Švácha´s zu "Straftaten", die das Gericht mit rund 300 Euro als erledigt betrachtet, drei Jahre ausfasst, darüber hat sich der Richter wohl keine Gedanken gemacht (s. Urteil). Der Anwalt wiederum hat es nicht für nötig gehalten, dem Gericht die Petition der Tschechischen Entomologischen Gesellschaft vorzulegen, die weltweit hunderte Wissenschafter unterstützt haben und welche die Freiheit von Švácha und Kučera gleichermaßen gefordert hat. Kennzeichnend ist weiters der Umstand, dass die inidschen Behörden Herrn Švácha, sechs Wochen nach Urteilsverkündung und zwei Wochen nach Ablauf der Berufungsfrist, die Ausreise immer noch nicht ermöglicht haben (Stand vom 25.10.2008) – obwohl Dr. Švácha die am 10. September 2008 verhängte Strafe von umgerechnet rund 300 Euro längst bezahlt hat und obwohl beide Seiten auf eine Berufung verzichtet haben.
Am 16. Oktober 2008 hätte das Berufungsverfahren von Emil Kučera beginnen sollen. Der tschechische Botschafter samt Begleitung reiste an, Emil Kučera und Petr Švácha kamen, doch es kamen weder der Richter, noch die Kläger, noch der Anwalt. Irgendein Gehilfe hat im Gang des Gerichtsgebäudes der Versammlung mitgeteilt, dass die Eröffnung des Berufungsverfahrens auf den 6. November verschoben wurde.
Nach solchen Erfahrungen, nach Erkundigungen und realer Einschätzung der Lage war Emil Kučera klar, selbst wenn das Berufungsverfahren innerhalb von zwei Wochen ab Eröffnung zu seinen Gunsten ausgehen sollte, dass sich selbst dann, aufgrund zahlreicher religiöser und sonstiger Feiertage und Urlaube des Gerichtspersonals, seine Rückreise mindestens bis Februar 2009 verzögern würde. Unter dem Eindruck solcher Aussichten und der Erkenntnis, dass er der indischen Gerichtsbarkeit ohnehin nicht vertrauen kann, hat er sich für eine freibürgerlich-unbürokratische Lösung entschieden.
Von seiner Freundin hat er sich nach Darjeeling seinen zweiten Reisepass schicken lassen, welchen er legal besitzt. Dann hat er die Abreise von Dr. Švácha nach Neu Delhi abgewartet, wo sich Petr Švácha mit Hilfe der tschechischen Botschaft mittlerweile um Erledigung der letzten Formalitäten der Ausreise bemüht. Mit einem PKW hat sich dann Emil Kučera in die Grenzregion zu Nepal bringen lassen, hat die Grenze in einem etwa zweistündigen Fußmarsch überschritten und ist dort weiter per PKW und Bus nach Katmandu gereist. In Nepal hat er eine Strafe für das Betreten des Landes ohne Visum bezahlt, ein Visum beantragt, eine Gebühr für das Visum bezahlt und das Visum auch bekommen. In Katmandu hat er nach drei Tagen eine Flugkarte gehabt und mittlerweile ist er wieder in seiner Heimat zurück.
Emil Kučera hat gespürt, dass die Region Darjeeling nicht imstande ist, ihm eine gerechte Verhandlung zu garantieren, und beschlossen, Indien zu verlassen, da er das Vertrauen in die indische Gerichtsbarkeit verloren hat. Er war durch den ganzen Ablauf, beginnend mit der Verhaftung, über die Fälschung von "Beweisen" durch die Anklage (vgl. Fälschungen der Anklage), die Inhaftierung und Verletzung von Höchstgrenzen für Untersuchungshaft (vgl. The Telegraph vom 9. Juli 2008) bis zum unglaublichen Messen mit zweierlei Maß (300 EUR versus 3 Jahre für die gleiche Tat) und zur unzumutbaren Verzögerungstaktik der indischen Behörden erschöpft. Nachdem Dr. Švácha Darjeeling verlassen hat, um in Neu Delhi die letzten Formalitäten zu erledigen und endlich auszureisen, hat Emil Kučera keinen aderen Ausweg gesehen.
Ich finde, man muss ihm zugute halten, dass er überhaupt so lange bei dem offenbar inszenierten Prozess mitgemacht hat, aber auch dass er mit dieser letzten Notlösung zugewartet hat, bis Dr. Švácha nach Neu Delhi abgereist war, wo er jetzt auf die Erledigung der Formalitäten für die Ausreise wartet. Er bedankt sich bei allen für die großartige Unterstützung, die ihm und Petr Švácha zuteil wurde, sei es in Form von Petitionen, durch die Teilnahme an Demonstrationen oder auf andere Weise. Bei der tschechischen Botschaft in Delhi und beim tschechischen Außenministerium in Prag hat er sich per e-mail für allfällige Unannehmlichkeiten entschuldigt.
Ob der Fall in Indien auch in Abwesenheit trotzdem weiter verhandelt wird, weiß ich nicht. Ob Petr Švácha immer noch in Delhi ist, weiß ich auch nicht, aber vorgestern (25.10.2008) hat er mir noch eine e-Mail aus Delhi geschickt.
Dass Emil Kučera in Tschechien vor Gericht gehen würde, hält das tschechische Justizministerium für unwahrscheinlich. Davon unbenommen haben laut dem tschechischen Justizministerium Tschechien und Indien kein Auslieferungsabkommen und die Verfassung der Tschechischen Republik erlaubt es nicht, einen tschechischen Staatsbürger gegen seinen Willen auszuliefern. Emil Kučera blickt zuversichtlich in die Zukunft, bleibt bei seinem Hobby und versteckt sich nicht; das tschechische Fernsehen hat u.a. ein Interview mit ihm gesendet (auf tschechisch).
Hoffen wir, dass bald auch Dr. Švácha endlich nach Hause kommt.
Und hoffen und arbeiten wir daran, dass die Beschäftigung mit der Natur nicht dort kriminalisiert wird, wo es weder notwendig noch sinnvoll ist, dort, wo Fang- und Sammelverbote jeder fachlichen Grundlage entbehren – wie etwa, aber nicht nur, bei Insekten und anderen Arthropoden:
Diesbezügliche Gesetze und Verordnungen gehören gründlich revidiert, und das bei weitem nicht nur in Indien!
Petition der Tschechischen Entomologischen Gesellschaft
http://www.petitiononline.com/h3e09s05/petition.html
Offene Briefe an die indische Regierung
und weitere Entscheidungsträger in Indien
Ein Brief von Boris Büche, Berlin / D deutsch english
Ein Brief von Vasily V. Grebennikov, Ottawa / Kanada english
Ein Brief von Vladislav Malý, Praha / CZ deutsch english česky
Ein Brief von Petr Zábranský, Wien / A deutsch česky (na prekladu pracuji, zatim neni k dispozici)
Links zum Thema
Faden auf entomologie.de
Faden im Lepiforum
Bericht auf TV PRIMA, ca. ab 6 min 30 sec; in Tschechisch
Bericht auf CT24, gleich der erste Beitrag, Dauer ca. 4,5 min; in Tschechisch
Startseite der CSE mit noch weiteren Links zu (Fernseh-)berichten über den Fall (in Tschechisch)
Literatur zum Thema
Bawa K. S. (2006): Hurdles for conservation science in India. Current Science 91/8. S. 1005. (pdf)
Madhusudan M. D., Shanker K., Kumar A., Mishra Ch., Sinha A., Arthur R., Datta A., Rangarajan M., Chellam R., Shahabuddin G., Sankaran R., Singh M., Ramakrishnan U., Rajan P.D. (2006): Science in the wilderness: the predicament of scientific research in India’s wildlife reserves. Current Science 91/8. S. 1015-1019. (pdf)
Narendran T. C., Cherian P. T. (2002): On some misconceptions on conservation of insects. Zoos´Print Journal 17/1. S. 687-688. (pdf)
Prathapan K. D., Priyadarsanan D. R., Narendran T. C., Viraktamath C. A., Aravind N. A., Poorani J. (2008): Death sentence on taxonomy in India. Current Science 94/2. S. 170-171. (pdf)
Prathapan K. D., Priyadarsanan D. R., Narendran T. C., Viraktamath C. A., Subramanian K. A., Aravind N. A., Poorani J. (2006): Biological Diversity Act, 2002: Shadow of permit-raj over research. Current Science 91/8. S. 1006-1007. (pdf)
Kopien von Dokumenten
To the Chief Judical Magistrate Darjeeling: Regarding judical matter
Anklage
Von der Anklage gefälschte Dokumente
Gutachten des Zoological Survey of India
Urteil mit Begründung
Berufung Emil Kučera
Kommentare zum Verfahren und zum Urteil
A few special comments
Lügen von Nag & Co. / Lies by Nag & Co. (english)