Emil Kučera:

Opfer der Willkür eines Provinzrichters in Darjeeling / Indien



Emil Kučera, ein renommierter Entomologe mit großen Verdiensten um die Erforschung der Biodiversität, wurde in Indien für das Sammeln von Insekten in erster Instanz zu drei Jahren unbedingt verurteilt. Für seine Befreiung setzen sich weltweit hunderte Wissenschafter und die tschechische Diplomatie bis hin zum Außenminister Karl Schwarzenberg und Ministerpräsident Mirek Topolánek ein.

Das Sammeln von Insekten darf nicht länger kriminalisiert werden!


Emil Kučera nach Tschechien geflüchtet
Was geschehen ist
Petition der CSE und offene Briefe
Links und Literatur zum Thema
Dokumente und Kommentare




Für die Freiheit von Emil Kučera und für freie Biodiversitätsforschung
haben Entomologen vorerst in drei Städten auf zwei Kontinenten demonstriert


Ottawa / Canada
18. September 2008 von 16:00 bis 18:00 Uhr
Indian High Commission

Demonstration at the Indian High Commission in Ottawa, Canada, 18. September 2008 (5 Bilder, insgesamt ca. 0,8 MB)

Praha / Tschechien
18. September 2008 von 16:00 bis 18:00 Uhr
Praha – Klárov

Praha 18. September 2008, Demonstration: FREE KUCERA, FREE SCIENCE, FREE BIODIVERSITY RESEARCH (5 Bilder, insgesamt ca. 0,8 MB)
video (tschechisch / česky)

Wien / Österreich
18. September 2008 16:00 bis 18:00 Uhr
vor der Indischen Botschaft in Wien
Kärntner Ring 2
1010 Wien
Demonstration vor der Indischen Botschaft in Wien am 18. September 2008 (3 Bilder, insgesamt ca. 0,5 MB)

Demotaugliche Riesensätze zum Ausdrucken, mit je einem Buchstaben pro Seite A4 (drei Dokumente mit je 13, eines mit 27 Seiten je ein Riesenzeichen). Ausgedruckt und in richtiger Reihenfolge auf Karton geklebt, ergeben sich daraus aus der Ferne gut lesbare Slogans:
PAROLE EMIL !
FREE SCIENCE !
FREE KUČERA !
FREE BIODIVERSITY RESEARCH !
**********************************************
Was geschehen ist:

Die beiden renommierten Entomologen Emil Kučera und Dr. Petr Švácha wurden in Indien verhaftet, gesetzwidrig für 34 Tage in U-Haft gesteckt und beschuldigt, im Nationalpark Singalila seltene Insekten gesammelt zu haben, um sie in China als Medizin zu verkaufen.

In Wahrheit haben sie den Nationalpark nie betreten, in einem Gutachten vom Zoological Survey of India steht nichts von irgendeinem Handelswert und stand zunächst auch nichts von geschützten Arten unter den beschlagnahmten Insekten. Zwei Tage vor Prozessende, am 28. August 2008, wurde das Gutachten des ZSI um zwei Exemplare des Plattkäfers Cucujus bicolor im Material von Dr. Švácha ergänzt, eine Art, die laut Schedule II des Wild Life Protection Act nicht gesammelt werden darf. Wie weit die Art über den Lebensraum tatsächlich geschützt ist, müsste wohl erst recherchiert werden. Wie wir wissen, ist ein Fangverbot noch lange kein Schutz. Einem Fangverbot unterliegende Arten deshalb als „geschützt“ zu bezeichnen, ist ein weit verbreiteter Missbrauch der Sprache, der Gefährdungsursachen ausblendet und naturverbundene Wähler täuscht. Das kennen wir leider nicht nur aus Indien, sondern aus zahlreichen anderen Ländern, auch aus Europa.

Im gegenständlichen Fall ist es aber nicht mal notwendig, das fragwürdige Existenzrecht der relevanten Paragrafen zu bemühen, denn – mit Ausnahme der zwei Plattkäfer – konnte die Anklage keine klaren Beweise vorlegen. Trotzdem wurde nach einem beispiellosen und offenbar inszenierten Schauprozess Dr. Švácha zu einer Strafe von umgerechnet ca. 300 Euro verurteilt. Das wäre noch zu verkraften, auch wenn das freilich 300 Euro zuviel sind, abgesehen davon, dass zugleich sein guter Ruf mit Füßen getreten wird. Emil Kučera aber hat in erster Instanz drei Jahre unbedingt ausgefasst. Natürlich hat er auf der Stelle berufen. Aber wie lange soll er noch auf die Gerechtigkeit warten?

Das ganze zieht sich schon seit dem 22. Juni 2008. In Tschechien füllt der Fall die Medien, in Nachrichtensendungen der Fernsehanstalten teilweise an erster Stelle. Der tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg hat seinen indischen Amtskollegen gebeten, sich für eine baldige Freilassung der beiden Entomologen einzusetzen und eine Abkühlung der tschechisch-indischen Beziehungen angekündigt, sollte nicht bald eine befriedigende Lösung erreicht werden. Auch der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolánek hat interveniert. Petr Švácha hat´s geholfen, Emil Kučera wurde aber vom Richter in Darjeeling offenbar als Sündenbock auserwählt.

Was sagt das internationale Recht dazu, dass Emil Kučera, obwohl nicht rechtskräftig verurteilt, seit mehr als drei Monaten in Indien steckt und dadurch seinem Beruf in Tschechien nicht nachgehen kann? Was sagt der Hausverstand dazu, dass er seit mehr als drei Monaten für das Sammeln von Insekten für sinnvolle Zwecke belangt wird, während andere Menschen die gleichen Insekten abertausendfach aus niederen Gründen sanktionslos platt machen und vergiften? Und was sagen die Juristen dazu, dass gegen Emil Kučera eine drakonische Strafe verhängt wurde, obwohl in seinem Material kein einziges Exemplar einer geschützten Art gefunden wurde? Wie unabhängig ist ein Richter in Darjeeling? Ist er vom Gesetz unabhängig? Darf er über Menschenrechtsverletzungen einfach so hinwegsehen? Ohne Beweise Schuld sprechen?

Emil Kučera und Dr. Petr Švácha wurden länger in U-Haft behalten als es die indischen Gesetze zulassen würden.

Es besteht der dringende Verdacht, dass ihr Verteidiger mit der Anklage packelt: Laut Emil Kučera hat er dem Gericht etwa die Petition der CSE nicht vorgelegt. Diese von vielen hundert Wissenschaftlern rund um die Welt signierte Petition ist geeignet, abenteuerliche Vorwürfe der Anklage zu entkräften und darüberhinaus mildernde Umstände geltend zu machen. Außerdem soll Anwalt Pandit auf seine Klienten Druck ausgeübt haben, dass sie gestehen und sich mit drei Jahren abfinden, oder andernfalls sieben Jahre bekommen.

Emil Kucera, der nur schlecht englisch spricht, hat bis heute keinen Dolmetscher: Ein weiterer Verstoß Indiens gegen internationale Abkommen über Menschenrechte.

Emil Kučera musste elf Tage auf die Begründung des Urteils warten, nachdem das Urteil als solches in erster Instanz gefällt wurde. Damit hat ihm der Richter unabhängigerweise elf Tage Berufungsfrist geraubt: Kein Mensch kann eine Berufung vorbereiten, wenn ihm die Gründe der Verurteilung nicht bekannt sind.

Es geht nicht nur um die Freiheit von Emil Kučera, sondern insgesamt um Prinzipien der Gerichtsbarkeit, Verletzungen von Menschenrechten und um Freiheit der Forschung, insbesondere der Biodiversitätsforschung, die weltweit immer mehr kriminalisiert wird. Und es geht um Naturschutz. Vorbei an Lippenbekenntnissen der Politik und großsteils im Einklang mit dem Gesetz, werden die letzten Reste unberührter Natur durch Konzerne und Bevölkerungsexplosion vernichtet. Rode einen Wald für das Vieh, bau einen Staudamm oder eine Formel-1-Rennstrecke, du wirst Beifall ernten. Aber weh, du steckst einen Käfer unbürokratisch in ein Glas mit Essigäther! Soll etwa so das Rezept auf Naturschutz aussehen?

Ich fordere von Indien, Dr. Petr Švácha und Emil Kučera unverzüglich zu rehabilitieren und auch Emil Kučera unverzüglich und bedingungslos freizulassen!

Ende Oktober 2008: Emil Kučera ist frei!

Während ich am letzten Oktoberwochenende, nichts ahnend, in Deutschland weitere fast 80 Unterschriften sammeln konnte – auch an dieser Stelle herzlichen Dank an alle, die unterschrieben haben! – hat Emil Kucera gehandelt: Seinen e-mails vom 26. und 27. Oktober 2008 zufolge ist er nach Tschechien geflüchtet. Dieser Schritt ist nicht nur verständlich, es war an der Zeit. Im folgenden fasse ich die mir dazu vorliegenden Informationen zusammen.

Im Gerichtsverfahren war keine Gerechtigkeit zu erwarten. Unter anderem wurde Kučera vorgeworfen, Dr. Švácha angestiftet und ihm bei Gesetzesverletzungen geholfen zu haben. Warum Emil Kučera für die angebliche "Anstiftung" Švácha´s zu "Straftaten", die das Gericht mit rund 300 Euro als erledigt betrachtet, drei Jahre ausfasst, darüber hat sich der Richter wohl keine Gedanken gemacht (s. Urteil). Der Anwalt wiederum hat es nicht für nötig gehalten, dem Gericht die Petition der Tschechischen Entomologischen Gesellschaft vorzulegen, die weltweit hunderte Wissenschafter unterstützt haben und welche die Freiheit von Švácha und Kučera gleichermaßen gefordert hat. Kennzeichnend ist weiters der Umstand, dass die inidschen Behörden Herrn Švácha, sechs Wochen nach Urteilsverkündung und zwei Wochen nach Ablauf der Berufungsfrist, die Ausreise immer noch nicht ermöglicht haben (Stand vom 25.10.2008) – obwohl Dr. Švácha die am 10. September 2008 verhängte Strafe von umgerechnet rund 300 Euro längst bezahlt hat und obwohl beide Seiten auf eine Berufung verzichtet haben.

Am 16. Oktober 2008 hätte das Berufungsverfahren von Emil Kučera beginnen sollen. Der tschechische Botschafter samt Begleitung reiste an, Emil Kučera und Petr Švácha kamen, doch es kamen weder der Richter, noch die Kläger, noch der Anwalt. Irgendein Gehilfe hat im Gang des Gerichtsgebäudes der Versammlung mitgeteilt, dass die Eröffnung des Berufungsverfahrens auf den 6. November verschoben wurde.

Nach solchen Erfahrungen, nach Erkundigungen und realer Einschätzung der Lage war Emil Kučera klar, selbst wenn das Berufungsverfahren innerhalb von zwei Wochen ab Eröffnung zu seinen Gunsten ausgehen sollte, dass sich selbst dann, aufgrund zahlreicher religiöser und sonstiger Feiertage und Urlaube des Gerichtspersonals, seine Rückreise mindestens bis Februar 2009 verzögern würde. Unter dem Eindruck solcher Aussichten und der Erkenntnis, dass er der indischen Gerichtsbarkeit ohnehin nicht vertrauen kann, hat er sich für eine freibürgerlich-unbürokratische Lösung entschieden.

Von seiner Freundin hat er sich nach Darjeeling seinen zweiten Reisepass schicken lassen, welchen er legal besitzt. Dann hat er die Abreise von Dr. Švácha nach Neu Delhi abgewartet, wo sich Petr Švácha mit Hilfe der tschechischen Botschaft mittlerweile um Erledigung der letzten Formalitäten der Ausreise bemüht. Mit einem PKW hat sich dann Emil Kučera in die Grenzregion zu Nepal bringen lassen, hat die Grenze in einem etwa zweistündigen Fußmarsch überschritten und ist dort weiter per PKW und Bus nach Katmandu gereist. In Nepal hat er eine Strafe für das Betreten des Landes ohne Visum bezahlt, ein Visum beantragt, eine Gebühr für das Visum bezahlt und das Visum auch bekommen. In Katmandu hat er nach drei Tagen eine Flugkarte gehabt und mittlerweile ist er wieder in seiner Heimat zurück.

Emil Kučera hat gespürt, dass die Region Darjeeling nicht imstande ist, ihm eine gerechte Verhandlung zu garantieren, und beschlossen, Indien zu verlassen, da er das Vertrauen in die indische Gerichtsbarkeit verloren hat. Er war durch den ganzen Ablauf, beginnend mit der Verhaftung, über die Fälschung von "Beweisen" durch die Anklage (vgl. Fälschungen der Anklage), die Inhaftierung und Verletzung von Höchstgrenzen für Untersuchungshaft (vgl. The Telegraph vom 9. Juli 2008) bis zum unglaublichen Messen mit zweierlei Maß (300 EUR versus 3 Jahre für die gleiche Tat) und zur unzumutbaren Verzögerungstaktik der indischen Behörden erschöpft. Nachdem Dr. Švácha Darjeeling verlassen hat, um in Neu Delhi die letzten Formalitäten zu erledigen und endlich auszureisen, hat Emil Kučera keinen aderen Ausweg gesehen.

Ich finde, man muss ihm zugute halten, dass er überhaupt so lange bei dem offenbar inszenierten Prozess mitgemacht hat, aber auch dass er mit dieser letzten Notlösung zugewartet hat, bis Dr. Švácha nach Neu Delhi abgereist war, wo er jetzt auf die Erledigung der Formalitäten für die Ausreise wartet. Er bedankt sich bei allen für die großartige Unterstützung, die ihm und Petr Švácha zuteil wurde, sei es in Form von Petitionen, durch die Teilnahme an Demonstrationen oder auf andere Weise. Bei der tschechischen Botschaft in Delhi und beim tschechischen Außenministerium in Prag hat er sich per e-mail für allfällige Unannehmlichkeiten entschuldigt.

Ob der Fall in Indien auch in Abwesenheit trotzdem weiter verhandelt wird, weiß ich nicht. Ob Petr Švácha immer noch in Delhi ist, weiß ich auch nicht, aber vorgestern (25.10.2008) hat er mir noch eine e-Mail aus Delhi geschickt.

Dass Emil Kučera in Tschechien vor Gericht gehen würde, hält das tschechische Justizministerium für unwahrscheinlich. Davon unbenommen haben laut dem tschechischen Justizministerium Tschechien und Indien kein Auslieferungsabkommen und die Verfassung der Tschechischen Republik erlaubt es nicht, einen tschechischen Staatsbürger gegen seinen Willen auszuliefern. Emil Kučera blickt zuversichtlich in die Zukunft, bleibt bei seinem Hobby und versteckt sich nicht; das tschechische Fernsehen hat u.a. ein Interview mit ihm gesendet (auf tschechisch).

Hoffen wir, dass bald auch Dr. Švácha endlich nach Hause kommt.

Und hoffen und arbeiten wir daran, dass die Beschäftigung mit der Natur nicht dort kriminalisiert wird, wo es weder notwendig noch sinnvoll ist, dort, wo Fang- und Sammelverbote jeder fachlichen Grundlage entbehren – wie etwa, aber nicht nur, bei Insekten und anderen Arthropoden:

Diesbezügliche Gesetze und Verordnungen gehören gründlich revidiert, und das bei weitem nicht nur in Indien!

Petition der Tschechischen Entomologischen Gesellschaft

http://www.petitiononline.com/h3e09s05/petition.html

Offene Briefe an die indische Regierung
und weitere Entscheidungsträger in Indien


Ein Brief von Boris Büche, Berlin / D deutsch english
Ein Brief von Vasily V. Grebennikov, Ottawa / Kanada english
Ein Brief von Vladislav Malý, Praha / CZ deutsch english česky
Ein Brief von Petr Zábranský, Wien / A deutsch česky (na prekladu pracuji, zatim neni k dispozici)

Links zum Thema

Faden auf entomologie.de
Faden im Lepiforum
Bericht auf TV PRIMA, ca. ab 6 min 30 sec; in Tschechisch
Bericht auf CT24, gleich der erste Beitrag, Dauer ca. 4,5 min; in Tschechisch
Startseite der CSE mit noch weiteren Links zu (Fernseh-)berichten über den Fall (in Tschechisch)

Literatur zum Thema

Bawa K. S. (2006): Hurdles for conservation science in India. Current Science 91/8. S. 1005. (pdf)

Madhusudan M. D., Shanker K., Kumar A., Mishra Ch., Sinha A., Arthur R., Datta A., Rangarajan M., Chellam R., Shahabuddin G., Sankaran R., Singh M., Ramakrishnan U., Rajan P.D. (2006): Science in the wilderness: the predicament of scientific research in India’s wildlife reserves. Current Science 91/8. S. 1015-1019. (pdf)

Narendran T. C., Cherian P. T. (2002): On some misconceptions on conservation of insects. Zoos´Print Journal 17/1. S. 687-688. (pdf)

Prathapan K. D., Priyadarsanan D. R., Narendran T. C., Viraktamath C. A., Aravind N. A., Poorani J. (2008): Death sentence on taxonomy in India. Current Science 94/2. S. 170-171. (pdf)

Prathapan K. D., Priyadarsanan D. R., Narendran T. C., Viraktamath C. A., Subramanian K. A., Aravind N. A., Poorani J. (2006): Biological Diversity Act, 2002: Shadow of permit-raj over research. Current Science 91/8. S. 1006-1007. (pdf)

Kopien von Dokumenten

To the Chief Judical Magistrate Darjeeling: Regarding judical matter
Anklage
Von der Anklage gefälschte Dokumente
Gutachten des Zoological Survey of India
Urteil mit Begründung
Berufung Emil Kučera

Kommentare zum Verfahren und zum Urteil

A few special comments
Lügen von Nag & Co. / Lies by Nag & Co. (english)



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